Mager-Sucht
Weniger Gewicht, mehr
Porsche - beim 11er heißt diese Formel RS. Der neue
Porsche 911 GT3 RS und sein
Vorfahre, der Porsche Carrera RS, füllen sie mit Leben.
Rennspoiler,
Rennfahrwerk, Rennbremsen Rennsitze, 306 km/h Spitze - politisch
korrekt ist was anderes. Windräder in jedem Garten zum Beispiel,
Dosenpfand oder kompostierbare Kleidung. Nicht zu vergessen
Solar-Autos.
Und weniger Tempo natürlich.
Und dann beschert uns Porsche eine Maschine wie den GT3 RS: So
wie diese neueste Variation des Themas 911 aussieht, müssten die
Polkappen eigentlich schon im Leerlauf schmelzen - nicht zu
reden von den Herzen in der Wolle gefärbter 911-Fans. Der Zusatz
RS steht - logisch - für Rennsport, für einen straßentauglichen
Elfer die höchste aller Aus-zeichnungen seit Einführung der
Ur-RS von 1972.
Schon damals stellte sich die Sinnfrage. Schließlich konnte man
bereits mit einem gewöhnlichen 911 um jeden Widersacher Kreise
fahren. Die Existenzberechtigung des RS fand sich auf höherer
Ebene: nicht allein die Mehr-PS waren Vater des RS-Gedankens,
die perfekte Synthese von Mensch und Maschine durch Verzicht auf
Servo und Luxus was das Ziel - simplifizieren und mehr
Leichtigkeit hinzufügen, wie amerikanische Flugzeugbauer zu
sagen pflegen.
Diese Grundregel macht sich auch der neue RS zu eigen,
wenngleich in zeitgemäßer Interpretation. Zwar ist Servo nicht
mehr verpönt, und sogar elektrische Fensterheber und Radio
dürfen bleiben. Aber ansonsten herrscht strengste Diät: keine
Klimaanlage, keine Rücksitze, kein Handschuhfach, keine
Seitenairbags, null Verwöhnausstattung, stattdessen teures
Carbon für Fronthaube und Heckflügel, Kunststoff für die
Heckscheibe.
Krafttraining unter
der Haube, Striptease im Innenraum: der jüngste 911 RS kommt mit
381 PS, aber minimalistischer Ausstattung. Streifen an den
Flanken wecken Erinnerungen
Gegenüber
dem seinerseits bereits gründlich gestrippten Ausgangsprodukt
GT3 summiert sich das auf 52 Kilogramm Mindergewicht - belanglos
im zivilen Einsatz, aber Gold wert auf der Rennstrecke, wo der
RS im Grunde seines Wesen hingehört.
Auch in diesem Punkt folgt er den Spuren seines Vorfahren: Erst der
Verkauf Straßenzugelassener Versionen ermöglicht die
Stückzahlen, die den RS gemäß Reglement für den Renneinsatz
qualifizieren. Heute sind das 200, 1972 sollten es 500 Exemplare
werden, doch zur Verblüffung der Geschäftsleitung verlangte die
Kundschaft schon binnen kurzem nach mehr.
Beim aktuellen RS ist dergleichen nicht zu befürchten. Davor
schützt schon der Preis von 120.788 Euro (18.676 Euro mehr als
ein GT3, 46.284 Euro mehr als ein 911), von den Besonderheiten
des wettbewerbsmäßig modifizierten Fahrwerks ganz zu schweigen.
Der RS abseits der Piste ist wie ein Rennpferd auf
Kopfsteinpflaster: unbequem, eigensinnig, schwer berechenbar.
Und
dann der Auftritt. Ein RS-Fahrer fällt auf, als würde er einen
Straßenpylonen auf dem Kopf tragen. ganz in Weiß mit roten oder
blauen Streifen und entsprechend lackierten Rädern soll der neue
an seinen legendären Vorgänger erinnern, der seinerzeit seine
Ambitionen ähnlich unmissverständlich zur Schau stellte. Dennoch
hat sich offensichtlich viel verändert. Der Ur-RS steht da wie
eine alte Freundin, bevor sie durch stetige Zufuhr von Sahne und
Silikon aus den Fugen geriet - schlank, zierlich, schmale
Backen. Und statt des monumentalen Flügels auf dem Hintern nur
ein kleiner, kecker Bürzel. Ungeachtet der neuerlichen RS-Diät
auch um einiges leichter: Statt 1376 wiegt der Carrera RS, so
der korrekte Name, nur 1010 Kilogramm. 210 PS aus 2,7 Liter
Hubraum machen dem Fliegengewicht Feuer, luftgekühlt, versteht
sich. Lachhaft ? Von wegen. Als erstes Serienauto durchbrach der
RS im auto motor und sport-Test die Sechs-Sekunden-Mauer - von
null auf 100 km/h in 5,7 Sekunden. Bis Tempo 140 machte man
sogar mit dem Ferrari Daytona (348 PS) kurzen Prozess.
Immer noch ein Sünde wert: Die Reize des Ur-RS von 1972 sind
zeit-los, die Zutaten hingegen zeugen von antiquierter
Bescheidenheit. 210 PS aus 2,7 Liter Hubraum genügen
Heute langt es noch für einen Boxster S, doch gefühlsmäßig sitzt man nach
wie vor in der ersten Reihe - ungewohnt aufrecht zwar, die
Scheibe dicht vor der Nase, aber mittendrin in der Action. Der
Boxer im Heck rasselt, sägt, röhrt und dreht, der lange, etwas
wackelige Schalthebel flutscht, die Differenzialsperre knarrt,
der Atem stockt. In Sachen Temperament wirkt der alte Meister
noch so frisch wie am ersten Tag, sein Unterhaltungswert ist
zeitlos. Nur verstehen muss man ihn. Geradeaus verlangt er
lockere Zügel, in Kurven dagegen die starke Hand. Dafür
informiert die servolose Lenkung ungefiltert über die Bemühungen
der schmalen Ballonreifen (vorne 185/70 VR 15 , hinten 215/60 VR
15), die Balance zu halten. Punktgenaues Einlenken und Gasgeben
wird belohnt, Gasweg-nehmen hingegen bestraft, beides prompt,
aber ohne Hinterlist.
Tradition seit 30 Jahren: RS verleiht Flügel
Verglichen mit dem RS der Neuzeit ist das alles ein großes, aber
noch ziemlich harmloses Vergnügen. Der Alte fühlt sich an wie
ein organischer Bestandteil des Fahrers, im Neuen ist es
umgekehrt: Der Mensch als Hochleistungskomponente im Mechanismus
einer Fahrmaschine. Nur wer 100-prozentig funktioniert, wird
diesem Auto gerecht, Fehler verwandeln den Fahrer postwendend in
einen hilflosen Passagier.
Alles an diesem Extrem-Elfer ist auf den Betrieb im Rennmodus
zugeschnitten, abseits der Piste dagegen geht die Perle vor die
Säue. Der Geradeauslauf gleicht einem Feldhasen, und bei
schneller Fahrt auf unebenen Straßen ist es im GT3 RS so
gemütlich wie in einer Waschmaschine im Schleudergang.
Das gilt naturgemäß besonders in Kurven, wo das RS-Fahrwerk
Zentrifugalkräfte
ermöglicht, die weit über das bei Straßenautos übliche Maß
hinausgehen, und zwar schon beim Einlenken: Das beim Elfer in
dieser Situation sonst zu beobachtende Untersteuern ist wie
weggeblasen. Im extrem hoch liegenden Grenzbereich indes
balanciert es sich wie auf Messers Schneide: Wer mit dem großen
Zeh zuckt, fährt anschließend rückwärts.
Ansonsten inszeniert der vom Le Mans-Siegerauto GT1 abgeleitete
3,6-Liter-Boxer im Heck bei entsprechender Betätigung des
Gaspedals Beschleunigungsexzesse wie Naturereignisse. Brüllen
gehört zum Handwerk, ebenso die explosive Leistungsentfaltung,
die beim RS dank besserer Luftzufuhr im oberen Drehzahlbereich
noch mehr Punch entwickelt. 4,3 Sekunden reichen für Tempo 100,
nach 13,8 Sekunden ist man auf 200.
Ungeachtet der etwas besseren Werte gleicht das Triebwerk jenem des
normalen GT3. 382 PS werden garantiert, bezogen auf das Gewicht
bedeutet das 3,6 kg/PS. Anno 1972 waren es 4.8 kg/PS, was
bestätigt, das Großvaters RS auch heute keineswegs ganz aus dem
Rennen ist.
In punkto Spaß pro PS liegt er sogar in Führung. Und aus dem Alter,
politisch korrekt sein zu müssen, ist er längst raus.
Text: Wolfgang König
Fotos: Hans-Dieter Seufert
Auto-Motor-Sport 2003 Heft 26
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