Die Unverwüstlichen
Ex-Rennfahrer Paul Ernst Strähle und sein 500.000 km alter
Rennwagen
Als der Viernockenwellenmotor schlagartig zum Leben erwacht,
scheint die Zeit um 20 Jahre zurückgedreht zu sein. Erinnerungen
werden wach an eine Rennepoche, in der man respektvoll den
geräuschvollen Aufmarsch der vielen Porsche Carrera verfolgte,
die sich etwa auf der langen Start- und Zielgeraden der
Stuttgarter Solitude-Rennstrecke formierten - darunter auch ein
silberblauer Carrera mit dem amtlichen Kennzeichen WN-V 2, den
der damals 30jährige Schwabe Paul Ernst Strähle in beherzter
Weise um seine Haustrecke hetzte.
20 Jahre später rollt der "V 2" ohne sichtbare
Alterserscheinungen aus
der geräumigen Halle des Schorndorfer VW- und Porsche-Händlers
Strähle
ans Tageslicht, wobei nicht nur die roten Startnummern auf Türen
und Fronthaube für Aufmerksamkeit sorgen. Denn wie damals stößt
die legendäre Sebring-Auspuffanlage (benannt nach der
amerikanischen Rennstrecke Sebring) ein dumpfes Gebrabbel aus,
das sich mit zunehmender Drehzahl zu einem infernalisch lauten
Gebrüll steigert und unüberhörbar darauf hinweist, dass es sich
bei diesem betagten Porsche um etwas Besonderes handelt.
In der Tat unterscheidet sich der Strähle-Carrera in vielen
Dingen von
ähnlich alten Artgenossen. Das rundliche Gebilde ist dank
zahlreicher
Aluminiumteile gerade 790 Kilo schwer, weist zahlreiche
Modifikationen auf wie beispielsweise den riesigen, aus der
Fronthaube herausragenden Tankdeckel und besitzt natürlich das
berühmte Porsche-Triebwerk mit vier Nockenwellen und
rollengelagerter Kurbelwelle. Die Leistung des 1600 ccm großen
Carrera-Motors ist mit 125 PS auch nach heutigen Maßstäben noch
recht ordentlich.
Und Paul Ernst Strähle, inzwischen 50 Jahre alt, gibt sich damit
zufrieden: "210 km/h Spitze sind immer noch drin".
Die Vergangenheit des Porsche Carrera 356A, erstmals am 24.
April 1957
zugelassen, ist ebenso ruhmreich wie strapaziös. "Als das Auto
sein
Kennzeichen hatte, bin ich sofort zur Mille Miglia gefahren, wo
ich auf
Anhieb den Klassensieg holte", erinnert sich Strähle, der von
diesem Sieg an von einem Rennen zum nächsten eilte.
Nach fünf Jahren hatte das bei Rennen und Rallyes geschundene
Auto eine halbe Million Kilometer auf dem rundlichen Buckel -
ohne nennenswerte Ermüdungserscheinungen und ohne einen einzigen
ernsthaften Unfall.
Die für heutige Renngeräte astronomisch hohe Kilometerleistung
erklärt Strähle so: "Früher war es halt üblich, mit dem
Rennwagen in voller Kriegsbemalung und mit offenem Rohr auf der
Straße zu jedem Rennen in ganz Europa zu fahren. Wir kamen dort
an, trainierten, bestritten
das Rennen und fuhren anschließend wieder nach Hause."
1961 schlug die Abschiedsstunde: Strähle trennte sich von seinem
erfolgreichen
Carrera, der - je nach Einsatz - zwischendurch auch von einem
zwei Liter großen Porsche-Aggregat
beflügelt worden war. Für 7000 Mark wechselte das Auto - laut
Strähle der Wagen mit den meisten Renn-Kilometern der Welt - den
Besitzer. Später bereute Strähle die Trennung und machte sich
auf die Suche nach dem guten Stück. 1974 wurde er schließlich
fündig: Das in einer
offenen Scheune abgelegte und technisch in einem desolaten
Zustand befindliche Auto mit der Leichtmetallkarosse kehrte im
Tausch gegen einen nagelneuen VW Golf in seine Schorndorfer
Heimat zurück, wo es in
langwieriger Arbeit in einen nahezu jungfräulichen Zustand
versetzt wurde.
Dass Ex-Rennfahrer und früherer Deutscher Rallyemeister Strähle
seinen
alten Kameraden - wieder mit der Nummer WN-V 2 versehen - auch
heute noch gewachsen ist, wird bei einem Ausflug rasch deutlich.
Nach untertouriger Fahrt durch die belebte Schorndorfer
Innenstadt -Strähle: "Mit dem Sebring halst man sich heute die
Polizei im Umkreis von fünf Kilometern auf" - erklärt der
robuste Schwabe vor einer schnellen Bergauf-Passage außerhalb
der Zivilisation die Spazierfahrt abrupt für beendet. Nach einem
kräftigen Tritt auf das schmale
Gaspedal brüllt das durch vier offene Ansaugtrichter atmende
Triebwerk auf, die zuckende Nadel des mechanischen
Drehzahlmessers schnellt im zweiten Gang auf 7500 Umdrehungen
hoch, und nach einem brutalen Schaltvorgang schießt der rüstige
Alt-Carrera im Dritten auf eine Rechtskurve zu.
Als bei rund 140 km/h die schmalen 165er-Gürtelreifen auf den 4
1/2 Zoll-Stahlfelgen den Kontakt zur Straße zu verlieren
beginnen und das Heck zum Überholen ansetzt, beginnt Strähle in
klassischer Manier zu arbeiten: Mit kurzen Sägebewegungen am
riesigen Dreispeichen-Lenkrad dirigiert er das ausbrechende
Renngefährt durch die Passage, schaltet bei exakt 7500
Umdrehungen in den vierten Gang und umrundet auch die nächste
Krümmung in einer derart spektakulären Art und Weise, dass dem
gurtlosen Beifahrer im harten Schalensitz Hören und Sehen
vergeht.
Das ist beileibe kein Fahren im heutigen Sinn. Das ist ein
ständiger Kampf mit einem widerborstigen Auto, das scheinbar
keine Gelegenheit auslässt, um sich blitzartig querzustellen.
Und Strähle, der "Hinlanger" wie eh und je, bekennt denn auch
freimütig: "Wer nur moderne Autos kennt, fliegt mit dem in der
ersten Kurve in die Botanik."
Er allerdings nicht. Am 11 September 1977 donnerte Strähle
erstmals wieder mit seinem "V 2" über eine Rennstrecke. Der
Einsatz nach langer Abstinenz geriet auf Anhieb zum totalen
Erfolg: Die beiden Unverwüstlichen kämpften auf dem Salzburgring
in Österreich im Rennen der historische Automobile beim
Oldtimer-Grand-Prix die gesamte Konkurrenz nieder.
Text: Uwe Brodbeck
Fotos: ?
Auto-Motor-Sport 1978 Heft 9
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