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AMS Kritik
Wir fuhren Porsche 901

Sonderdruck aus AMS Heft 8/1964, Stuttgart, Postfach 1042

Der Porsche 901 stellt den Anspruch, zur Spitzenklasse unter den Automobilen gezähltBild 1.1 zu werden. Sein Preis von 23.900,00 DM liegt über dem des Mercedes 230 SL. Die Produktion soll im Herbst beginnen. Als erste Automobilzeitschrift der Welt fuhr Auto, Motor und Sport einen der wenigen bisher vorhandenen Vorserienwagen.
 
Merkwürdig, aber wahr: Es ist das erste Mal in der Geschichte des Hauses Porsche, dass ein für den normalen Markt bestimmter Wagen neu entwickelt und zur Produktion vorbereitet wird. Was bisher als "der Porsche" bekannt war, nämlich der Typ 356, war ursprünglich nicht als geschäftliches Objekt gedacht. Dieser Porsche war ein Kind der Notzeit und der Freude am Konstruieren: ein Sportwagen aus VW-Teilen, von dem nur einige wenige Exemplare gebaut werden sollten. Erst wegen der nicht mehr nach-lassenden Nachfrage wurde die kleine Produktion eingerichtet, deren Stückzahlen nach industriellen Begriffen auch heute noch winzig sind. Porsches großer Vorteil liegt darin, dass die Wagen über das VW-Händlernetz verkauft und betreut werden können, obwohl der Wagen fast keine VW-Teile mehr enthält. Keine andere reine Sportwagenfirma kann ihren Kunden einen so weit verbreiteten Service bieten.

Reine Sportwagenhersteller - das sind neben Porsche zum Beispiel Ferrari, Maserati, Aston Martin. Weitaus die meisten übrigen Sportwagenmarken sind Anhängsel großer Automobilfirmen, die viele Teile ihrer Sportwagen aus der normalen Produktion entnehmen können. Das gilt für den meistgekauften Sportwagen der Welt, den MGB,
ebenso wie für die Chevrolet Corvette oder den Mercedes 230 SL.

Darum ist es auch nicht ganz richtig, den Porsche 901 preislich mit dem 230 SL zu vergleichen. Motor und Fahrgestell des 230 SL entsprechen den Serien-Personenwagen, der 901 dagegen ist eine exklusive Konstruktion, die - ein seltenes Ereignis im modernen Automobilbau - Stück für Stück neu ist. Kein Wunder, dass er, obwohl in
Leistung und konstruktivem Aufwand ungefähr dem 230 SL entsprechend, teurer sein muss.

Das Porsche-Typische an diesem Wagen liegt in ideellen Merkmalen: Luftgekühlter Boxer-Heckmotor, Drehstab-federung. Von diesen beiden Gedanken ging man nicht ab, andere dagegen
Bild 3.1 wurden aufgegeben: Die Rad-aufhängung an Kurbelarmen, die Pendel-Hinterachse. Beibehalten wurden die Form der Karosserie, und daran dürfte es liegen, dass der 901 auch von Laien auf den ersten Blick als ein Porsche identifiziert wird. Die Karosserie-form kann man als greifbaren Beweis dafür ansehen, daß die schöpferische Begabung auch in der dritten Porsche-Generation noch nicht ausgestorben ist. Es ist wiederum ein Ferdinand, der sie gemacht hat, Enkel des Klempnersohns aus dem Böhmischen Wald. Nicht nur von Talent zeugt die Form, sondern auch von genauer Kenntnis der Gesetze dessen, was man heute "Styling" nennt, aber besser mit Gestaltung übersetzt. Es ist eine saubere Arbeit, deren Entstehen Jahre in Anspruch genommen hat. Die Aufgabe, einen echten Porsche zu bauen, der zugleich in der Form ein modernes Automobil ist, läßt sich wohl kaum noch überzeugender lösen. Es ist keine Spur von Manieriertheit an dem ganzen Auto zu entdecken, kein Haschen nach kurzlebigen Effekten. Manche Formen verlieren, wenn man sie aus dem Neonlicht der Salons in die nüchtere Straßenumgebung bringt. Der 901
gewinnt eher; er wirkt klar, einfach und schnell. Zwar kann es keine lohnendere Aufgabe für einen Gestalter geben als einen solchen Sportwagen, trotzdem aber sind schon viele daran gescheitert. Zu dieser Karosserie muss man gratulieren.

In dem jetzigen Preis von 23900 DM sind eine Menge Ausstattungsdetails enthalten, die über das Notwendige hinausgehen: Holzlenkrad, Ganzlederpolsterung, Velourteppiche, Chromfelgen. Dazu gehört auch eine Webasto Standheizung, über deren Notwendigkeit wir noch nichts sagen können, weil in dem von uns gefahrenen Wagen die serienmäßig vorgesehene Motorheizung noch nicht eingebaut war. Die Webasto Heizung läuft ziemlich laut und läßt sich nicht regulieren, sie ist hauptsächlich als Zusatzheizung bei kaltem Wetter gedacht. Es ist geplant, eine vereinfachte Ausführung des 901 ohne diese Extras anzubieten, die etwa 2000 DM billiger sein wird. Sie würde dann in Lenkrad und Ausstattung den Vierzylindermodellen entsprechen. 
Bild 4.1

Unter der Vorderhaube ist beim 901 viel mehr Platz als beim 356, da
die Querlenker weniger Raum beanspruchen als die alte
Kurbel-Vorderachse. Am Motor sind nicht nur die Vergaser, sondern auch
die Zündkerzen sehr gut zugänglich. Armaturenbrett und Lenkrad wurden
gegenüber der in Frankfurt gezeigten Ausführung geändert. Auf den
hinteren Notsitzen steht etwas mehr Knieraum zur Verfügung als beim
Typ 356, dagegen ist der Kopfraum dort sehr knapp.

 

Einige Dinge, die zu den beiden Ausführungen gehören, müssen erwähnt werden: dosierbare Frischluft kann durch die Öffnung vor der Windschutzscheibe und durch die Motorheizung hereingebracht werden, Schlitze oberhalb der Heckscheibe sorgen dafür, daß auch bei geschlossenen Fenstern die Luft umgesetzt wird. In zwei Hebeln am Lenkrad sind eine Menge Funktionen zusammengefasst: links Blinker, Lichthupe, Abblendlicht und Parklicht, rechts Scheibenwischer und Wascher. Dieser Wischerhebel kann durch Hochdrücken drei verschiedene Geschwindigkeiten einschalten, beim Anziehen betätigt er zunächst die Wischer und dann die Wascher. Wir fuhren viel bei Regen und empfanden diese Anlage als das Beste, was wir bisher auf diesem Gebiet gesehen haben. Der Mercedes 230 SL hat eine ähnliche Wischerbetätigung, bei den meisten übrigen Wagen muß man sich den Wischerschalter noch am Armaturenbrett suchen.

Dort wurden beim 901 lediglich der Lichtschalter und die Luftregulierung angebracht. Die Instrumentierung hat sich gegenüber der in Frankfurt gezeigten Ausführung noch geändert und enthält nun fünf runde Uhren: Anzeige für Benzin- und Ölstand (der 901 hat Trockensumpfschmierung, das Öl befindet sich in einem separaten Tank), Ölt-emperatur und Öldruck, Drehzahlmesser, Tachomoter, elektrische Zeituhr. Wie bei den Viezylindern gehören Liegesitze zur Serienausstattung, die hintere Gepäckablage enthält wieder zwei Notsitze, der hintere Fußraum wurde um 5 cm vergrößert. Trotzdem kann erwachsenen Leuten das Fahren auf diesen Sitzen nur für kurze Zeit zugemutet werden, denn auch die Kopfhöhe reicht nicht aus. Der vordere Gepäckraum ist viel größer als beim 356, zwei Personen können in diesem Auto viel Gepäck mitnehmen, ohne noch etwas aufs Dach oder auf das Heck schnallen zu müssen. Bei den Vorserienwagen wurde der Bugraum noch durch die Standheizung beeinträchtigt, sie soll künftig versenkt eingebaut werden an einer Stelle, wo sich jetzt noch die Batterie befindet. Die Batterie kommt dann weiter nach vorn, was bei Zusammenstößen nicht ganz ungefährlich ist, weil sich auch der Tank weiter vorn befindet als beim 356.

Der ganze Wagen ist etwas schmaler und etwas länger als der Typ 356, was seinem Aussehen zugute kommt. Der Radstand wurde um 10 cm verlängert, ist aber mit 2,20 m immer noch um
Bild 4.2 20 cm kürzer als beim 230 SL. Wie schon beim 256 sind die Überhänge vorn und hinten recht lang, die Gesamtlänge ist mit 4135 mm um 193 cm größer als der Radstand! In den Maßen ist der Paralleltyp 904 (Carrera GTS) funktioneller, er hat 2,30 m Radstand und ist 4.09 m lang, wovon etliche Zentimeter auf die aerodynamische Frontverkleidung entfallen. Der Grund für den langen Heck-Überhang des 901 liegt in der Anordnung des Motors hinter der Hinterachse. Diese Anordnung musste beibehalten werden, weil der gewohnte große Innenraum mit hinterer Gepäckablage sonst nicht möglich gewesen wäre. Die für die Gewichtsverteilung ideale Anordnung des Motors zwischen den Achsen kommt leider für ein Reisefahrzeug nicht in Frage.

Das grazile Äußere ist nicht nur eine Geschmacksangelegenheit, sondern sorgt auch für viel bessere Sichtverhältnisse als man sie beim Typ 356 gewohnt ist. Die tiefere Gürtelline und die höheren Fenster lassen nichts mehr von den Fortschritten vermissen, die der Karosseriebau in dieser Beziehung gemacht hat. Das gilt auch für die Sicht nach hinten: die geringe Neigung wurde durch die große Fläche des Heckfensters ausgeglichen, die Durchsicht ist genügend verzerrungsfrei.

Bild 4.3Die Sitze wurden sehr tief angeordnet - unserer Meinung nach etwas zu tief. So ist zwar selbst für extreme Sitzriesen reichlich Kopffreiheit da, aber der Sichtwinkel nach vorn-oben, der beim 356 zu klein ist, fiel hier größer aus als notwendig. Eine etwas höhere Sitzposition würde auch die Handlichkeit noch verbessern, weil das Lenkrad dann für den Fahrer tiefer liegen würde. Sonst ist gegen die Anordnung des Lenkrades und der Pedale nichts einzuwenden. Selbstverständlich lassen sich die Sitze so weit zurückverstellen, daß man mit ausgestreckten Armen fahren kann. In dem von uns gefahrenen Wagen fehlte noch der Handgriff für den Beifahrer. Er ist an der Tür vor der Armlehne vorgesehen; ein zusätzlicher Griff am Dachrand wäre für dieses sportliche Auto wünschenswert. Die Pedale sollen noch etwas mehr nach rechts versetzt werden, so daß der linke Fuß zwischen Radkasten und Kupplungspedal voll ausgestreckt werden kann. Die Handbremse wurde zunächst nach englischem Muster so ausgelegt, daß sie ohne Knopfdruck einrastet. Weil diese Handhabung bei uns unbekannt ist und beim Umsteigen Schwierigkeiten bereiten würde, will man davon wieder abgehen.

"PORRSCH...!"

Das Geräusch, das einen nach dem Anlassen erwartet, ist das wohlvertraute Geräusch luftgekühlter Porschemotoren. Da der dämmende Kühlwassermantel fehlt, ist man - besonders im Leerlauf - Ohrenzeuge etlicher mechanischer Vorgänge. Bei höherer Drehzahl vermischt sich das alles zu einem dumpfen und durchaus nicht unangenehmen Geräusch, dessen Lautstärke nach unserem Eindruck nicht größer ist als bei den Vierzylindern - allerdings auch nicht geringer. Bei hohen Geschwindigkeiten nimmt es nur mäßig zu, sehr stark waren bei dem
Vorserienwagen dagegen die Windgeräusche. Die Fensterrahmen und ihre Befestigung sollen deshalb noch völlig geändert werden. Der Sog bei hohen Geschwindigkeiten übt bei schnellem Fahren Kräfte von solcher Stärke aus, daß solide aussehende Metallteile völlig ihre Form verändern.

Von außen hört man jenes "Porrsch", das besonders in südlichen Ländern immer wieder Begeisterung auslöst, wenn es auch, weil ein Konglomerat von Auspuff- und mechanischen Geräuschen, den Typprüfungs-Verantwortlichen Phonsorgen bereitet. Die Anordnung der Auspuffrohre ist noch nicht endgültig.

Bei jedem Auto macht der Motor den Charakter; beim Sportwagen ist man
Bild 4.4sozusagen mit ihm verheiratet. Unsere Sorge, ob dieser erste Sechszylinder des Hauses Porsche nach dem Krieg, ebenso zu begeistern vermag wie seine Vorgänger (die sämtlich noch gebaut werden!), war unbegründet. Nach wenigen Kilometern waren wir von dieser Maschine überzeugt; nicht nur des Tones wegen, und nicht nur weil sie so elastisch läuft, daß man im V. Gang mit 60 km/h fahren kann, sondern auch wegen der außerordentlichen Drehfähigkeit und des absolut Vertrauen erweckenden Laufes bei hoher Drehzahl. Das Werk läßt heute 6.500 U/min als Dauerdrehzahl zu und wird vielleicht eines Tages bis zu 7.000 U/min zulassen - das ist Musik in den Ohren der Leute, die mit den Porsche Stoßstangenmotoren (freilich nicht mit dem Carrera) Angst vor der Drehzahl haben müssen.

Dieser Motor hatte einen internen Vorgänger. Er war für gleiche Drehzahlen gedacht und war ein Stoßstangenmotor. Man entschloß sich dann, obwohl dieser Motor gesund lief, für die konstruktiv reinrassigeren obenliegenden Nockenwellen - eine pro Zylinderreihe. In Fachkreisen wurde von Problemen gemunkelt, denn drei luftgekühlte Zylinder verhalten sich in ihrer Wärmedehnung unter Umständen ungleichmäßig, so daß der Zylinderkopf verzogen werden kann und, so wurde befürchtet, die Lagerstellen der Nockenwelle nicht mehr fluchten. Mit diesen Schwierigkeiten scheint man fertiggeworden zu sein, denn sonst würde man nicht so unbedenklich auf hohe Drehzahlen gehen. Über die Leistung ist mit 130 PS bei 6200 U/min anscheinend noch nicht das letzte Wort gesprochen. Wir halten es für möglich, daß sie noch auf 135 oder 140 PS gesteigert wird. 

Die achtfach gelagerte, wegen der Boxerbauweise des Motors sehr kompakte Kurbelwelle muß ein Musterstück an
Bild 5.1Steifigkeit sein, und die mittlere Kolbengeschwindigkeit beträgt bei 7.000 Bild 5.2U/min erst 15,4 m/s. Hier kommen die prinzipiellen Vorzüge zum Tragen, die ein solcher Motor hat -weder die Boxerbauweise noch die sechs Zylinder sind ja bloße Konstrukteurs-Marotten. Während man beim Vierzylinder des Carrera 74 mm Hub und 92 mm Bohrung brauchte, um auf 1966 ccm Hubraum zu kommen (Hubraum pro Zylinder ca. 490 ccm), konnte man hier den sagenhaft kurzen Hub von 66 mm anwenden und kam mit 80 mm Bohrung auf ca 332 ccm pro Zylinder, mal sechs macht 1991 ccm. Das Hub-Bohrungsverhältnis ist stark unterquadratisch, was der Elastizität im untersten Drehzahlbereich schaden würde, wenn man nicht sechs Zylinder zur Verfügung hätte und außerdem auf runden Lauf unter 1000 U/min getrost verzichten könnte.

Der von uns gefahrene Wagen hatte noch italienische Solex Vergaser, die für die Lancia V6-Motoren bestimmt sind. Die endgültige Ausführung enthält eine interessante Neuentwicklung von Solex: Zwei Dreifachvergaser (also für jeden Zylinder ein eigens Düsensystem), die je eine gemeinsame Schwimmerkammer haben. Diese Schwimmerkammer bildet nicht mit den Düsensystemen, sondern mit dem Ansaugrohr ein Gußstück! Das Ganze kostet nach Angaben von Porsche nur etwa ein viertel von dem, was eine Einspritzanlage kosten würde.

Vor der Hinterachse ist ein Fünfganggetriebe eingebaut, mit dem der Fahrer dieses Wagens zwangsläufig ebenso verheiratet wird wie mit dem Motor. Es ist nämlich im Schaltschema und in der Abstufung anders ausgelegt als die bisher bekannten Personenwagen-Fünfganggetriebe: der V. Gang ist nicht ein gelegentlich benutzter Schongang, sondern ein normaler Fahrgang. Er befindet sich im Schaltschema an der Stelle, wo man den IV. Gang gewöhnt ist, entsprechend vertritt der IV. den III., der III. den II. und der II. den I. Gang des normalen
Bild 4.5 Schaltschemas. Um in den I. Gang zu kommen, muß man den Schalthebel nach links drücken und dann auf sich zu ziehen.

Die Sache ist nun nicht so gedacht, daß der I. Gang als gelegentlicher Notgang benutzt werden soll. Er ist der Anfahrgang, wenn auch das Schaltschema dazu verleitet, im II. Gang anzufahren. Das geht zur Not, aber der II. Gang ist mit einer Gesamtübersetzung von 7,46 bereits ein Fahrgang, er reicht bis 110 km/h! Grundgedanke war, den Fahrbereich von 0 bis 210 km/h in fünf Gangbereiche einzuteilen, die sich jeweils so stark überschneiden, daß praktisch in jeder Fahrsituation unter 190 km/h mindestens zwei, zumeist aber drei verschiedene Gänge zur Verfügung stehen! Das ist das genaue Gegenteil von Automatik; für Fahrer, die Spaß am Schalten haben, ist es eine tolle Sache. Leute, die nicht gern schalten, werden gut zurechtkommen, da man das Getriebe benutzen kann wie ein normales Vierganggetriebe. Nur im Stadtverkehr müssen sie gelegentlich in den I. Gang zurück, da der II. unterhalb von 15 km/h nicht mehr gut zu gebrauchen ist. Der I. Gang ist zum Schrittfahren noch um eine Kleinigkeit zu "lang", darum sollen die beiden unteren Gänge noch höher übersetzt werden. 

Ein Vergleich mit dem unten eng abgestuften Vierganggetriebe des 230 SL zeigt deutlich die ungewöhnlichen Möglichkeiten des Porsche Fünfganggetriebes:
Bild 5.3
Die hier angegebenen Übersetzungen sind nicht unbedingt die endgültigen, im Prinzip wird sich jedoch nichts ändern. Im V. Gang, der ja kaum indirekter ist als bei anderen Autos der IV. Gang, kann man auf Landstraßen und Autobahnen fast immer fahren. Um - etwa beim Überholen - maximale Beschleunigung zu erzielen, muß man dann unter Umständen beim Zurückschalten eine Stufe überspringen. Im Straßenverkehr oberhalb 80 km/h kann gelten, daß man als Beschleunigungsgang immer den III. Gang (er liegt dort, wo beim gewöhnlichen Vierganggetriebe der II. ist) verwendet, denn er reicht bis über 150 km/h, und unter 80 km/h nimmt man den II. Gang. Auf der Autobahn genügt es fast immer, aus dem V. in den IV. zu gehen - das kann man bei 120 ebenso tun wie bei 160! Wie beim Abwärtsschalten kann man natürlich auch beim Aufwärtsschalten einen Gang überspringen, wenn man nicht gerade auf optimale Beschleunigung Wert legt.

Schäden durch Verschalten sind praktisch ausgeschlossen, denn erstens ist die Reihenfolge normal (also nicht umgekehrt wie beim Glas-Getriebe), und zweitens macht es nichts aus, wenn man einmal (was anfangs vorkommt) aus dem I. Gang gleich in den IV. statt in den II. schaltet. Der Wagen beschleunigt dann trotzdem, wenn auch nicht so lebendig wie im II. Gang. Vom I. in den II. Gang ist der Schalthebel durch Federdruck so geführt, daß er praktisch von selbst richtig läuft und nicht in den Rückwärtsgang geraten kann. Man muss ihn locker anfassen, weil er (wie meist bei Heckmotorautos) etwas Spiel hat. Die Schaltwege sind nicht überaus kurz, der IV. Gang liegt etwas zu weit entfernt, aber dafür geht die Schaltung leicht. Die Synchronisierung funktioniert hervorragend, auch bei großen Drehzahlsprüngen sind die Gänge schnell hereinzubekommen.

Die enge Abstufung und die weiten Bereiche des III. und IV. Ganges sorgen dafür, daß die Motorleistung stets voll ausgenutzt werden kann. Es ist ganz klar, daß der Wagen mit 130 PS hervorragende Fahrleistungen erreichen muß. Eigene Messungen konnten wir nicht machen, weil das Wetter zu schlecht und der Motor unseres Wagens ein sehr frühes, in verschiedenen Details überholtes Exemplar war. Wir stoppten auf nasser Straße ein Mittel von knapp über 200 km/h, aber ohne genügend langen Anlauf. Daß der 901 die 210 km/h Spitze, die das Werk angibt, erreichen wird, bezweifeln wir angesichts der Leistungscharakteristik des Motor nicht. Im V. Gang, der ja mit 3,64 keineswegs den Charakter eines Overdrive hat, sind das knapp 6500 U/min, und die erreicht der Motor mühelos. Mit entsprechenden Maßnahmen auf der Ansaugseite (der Luftfilter kostet etwa 5 PS) dürften im V. Gang 7000 U/min erreichbar sein, damit wäre der Wagen gut für über 220 km/h. Für die Beschleunigung hier einige vorläufige Angaben des Werkes, dazu zum Vergleich der Carrera 2 und der 230 SL:
Bild 6.3
Von allen drei Wagen kann man sagen, daß sie diese Leistungen mit kultivierten Tourenmotoren erreichen, die man ohne Schwierigkeiten im dichten Verkehr benutzen kann.


GERADEAUS UND UMS ECK

Der ganze Wagen ist darauf angelegt, ein komfortables Reisefahrzeug zu sein. Darum wurde Wert auf einen ruhigen Motorlauf, gute Geräuschdämpfung an Motor und Karosserie (deshalb wird das Leergewicht zwischen 1000 und 1050 kg liegen) und guten Federungskomfort gelegt. Aber ein Fahrzeug dieser Klasse muß natürlich auch excellente Fahreigenschaften haben, und um diese beiden Forderungen zu erfüllen, wurde ein völlig neues Fahrwerk konstruiert. Vorn bekam der 901 eine Einzelradaufhängung nach dem
Bild 6.1 McPherson-Prinzip: einfache Dreiecks-

Die Porsche-Form wurde durch eine tiefere Gürtellinie und höhere Fenster abgewandelt. Der Winkel zwischen Vorderhaube und Wind-schutzscheibe ist sehr flach und damit aerodynamisch günstig. Am oberen Rand des Heckfensters sind Schlitze angebracht, die durch den gelochten Dachhimmel den Innenraum entlüften. Die hinteren Dreieckfenster sind ausstellbar. Die Führung der Auspuffrohre und vielleicht die hinteren Stoßstangenhörner werden noch geändert.

Querlenker, die alle seitlich und längs gerichteten Kräfte aufnehmen, und ein Federbein als zusätzliches Führungselement. Dieses Federbein federt jedoch nicht, sondern es besteht nur aus einem Teleskopstoßdämpfer, ist also ein "Dämpferbein". Die Federung übernehmen längsliegende Drehstabfedern. Die Hinterräder sind an leicht schrägstehenden Längslenkern einzeln aufgehängt, werden durch querliegende Drehstabfedern gefedert und durch Doppelgelenkwellen angetrieben. Bis auf die Drehstabfedern sind die Aufhängungen denen des BMW 1800 sehr ähnlich (beide Konstruktionen entstanden etwa gleichzeitig). Daß man den Umstand der Drehstäbe in Kauf nahm, anstatt einfach Schraubenfedern einzubauen, mag mit den Porsche-Haustraditionen zusammenhängen, wird aber auch damit motiviert, daß man in dem sehr niedrig gebauten Wagen für Schraubenfedern von ausreichendem Weg keinen Platz hatte. Alle Räder stehen unbelastet leicht negativ, der Federweg ist von Gummi-Hohlfedern begrenzt.

Der Federungskomfort ist für einen Wagen mit so kurzem Radstand erstaunlich; selbst lange Bodenwellen werden ohne plötzliche Vertikalbewegungen des Wagens und ohne Nickschwingungen geschluckt. Der Wagen ist deutlich weicher gefedert als der Carrera und die (weicher gewordenen) Modelle 356 C und SC.. An der endgültgen Abstimmung wird noch gearbeitet, wobei es darum geht, die jetzt noch auftretende Seitenneigung zu reduzieren. Bei dem von uns gefahrenen, nicht mehr ganz dem heutigen Entwicklungsstand entsprechenden Wagen machte sich die Seitenneigung für die Insassen wenig bemerkbar, hatte aber beim Wechsel von einer Kurvenrichtung in die andere, also in Schängelkurven oder beim Wedeln, eine Schwenkbewegung des Aufbaues zur Folge, die das Heck für einen Moment nach außen drängte. Es kam dadurch beim Fahren mit Grenzgeschwindigkeiten zu einer kurzen
Bild 7.1Übersteuer-Reaktion, besser gesagt einem "Heck-Lenken", das durch Gegenlenken ausgeglichen werden mußte. Diese Reaktion trat auch bei Gaswegnehmen auf, ähnlich wie bei einem Frontantriebswagen. Künstlich konnte man sie erreichen, indem man den Wagen in der Kurve leicht überzog; er ließ sich dann mit "Sägen" sehr gut unter Kontrolle halten. Im übrigen verhielt sich der Wagen immer untersteuernd; beim Kreisfahren ging er, wenn man zu schnell war, gleichmäßig über die Vorderräder nach außen und war nicht (wie der Typ 356) dahin zu bringen, daß er sich drehte.

Nachdem wir uns mit diesen Eigenschaften vertraut gemacht hatten, machte es sehr viel Spaß, den Wagen an der Grenze zu bewegen - selbst in 180 km/h-Kurven ließ er sich mit entsprechender Dosierung von Gas und Lenkradbewegungen willig dirigieren. Weit besser als beim Typ 356 war der Geradeauslauf bei sehr hohen Geschwindigkeiten. Die leichte Nervosität auf Autobahn-Geraden, die alle Porsche-Fahrer kennen, gibt es beim 901 nicht. Wenn 200 km/h auf dem Tachometer s
Bild 8.1tehen, läuft das Auto noch immer stur geradeaus und läßt sich durch Anreißen der Lenkung nicht aus der Ruhe bringen. Über das Verhalten bei Seitenwind konnten wir nichts feststellen, aber man darf den Angaben der Porsche-Versuchsleute trauen, daß es ebenfalls erheblich besser ist. In einigen Details des Fahrwerkes werden bis zum Serienanlauf noch Änderungen kommen. Wer die wissenschaftliche Gründlichkeit kennt, mit der man Straßenlage-Probleme bei Porsche analysiert, kann nicht daran zweifeln, daß ein gutes Ergebnis erreicht wird.

Die Lenkung ist im Gegensatz zum Typ 356 eine Zahnstangenlenkung. Man merkt es daran, daß sie Fahrbahnstöße deutlich signalisiert, aber auch sehr genau und feinfühlig ist. Ähnlich wie die bisherige Porsche-Lenkung ist sie nicht überaus leichtgängig und verlangt solide Haltekräfte in schnellen Kurven, bereitet aber beim normalen Fahren und im Stadtverkehr keine Mühe. Das wichtigste für die Lenkung eines schnellen Wagens ist, daß man ihn bei hohen Geschwindigkeiten gut in der Hand hat. Das trifft für die Lenkung des 901 zu.

An den Bremsen, die im Prinzip denen des 356 entsprechen (vier Ate-Scheibenbremsen, hinten mit kleinen Trommel-Feststellbremsen), wird noch gearbeitet. Bei dem von uns gefahrenen Wagen bremsten sie sehr wirksam
Bild 8.2und gleichmäßig, erforderten aber bei hoher Geschwindigkeit zuviel Pedalkraft. Der gegebene Weg wäre der Einbau einer Servoeinrichtung, aber dafür fehlt es am Platz und auch am Unterdruck, der schwer zu gewinnen ist, weil der Motor kein Ansaug-Sammelrohr hat. Zur Zeit werden Beläge erprobt, die den harten Werksanforderungen (man verlangt dreimalige Vollbremsung aus 180km/h ohne Fading) gerecht werden und trotzdem weniger Pedalkraft verlangen. Es wird auch daran gedacht, nach Wahl normale oder Heavy-Duty-Beläge zu liefern.


Keine Frage, der neue Sportwagen, der ab Ende August in Zuffenhausen produziert
Bild 6.2wird, ist eines der interessantesten Autos der Welt. Er ist ausschließlich als Reisefahrzeug gedacht, nicht für den Gran Turismo-Sport. Diese beiden Aufgaben hat Porsche folgerichtig getrennt, und der Typ 904 als Sportinstrument wird sicherlich später mit dem gleichen Sechszylindermotor in einer schnellen Version ausgerüstet. Trotz seinem zivilen Verwendungszweck bekam aber der 901 den funktionellen Charakter, der ihm begeisterte Käufer sichern wird. In diesem Punkt unterscheidet er sich deutlich vom 230 SL, und noch stärker von viersitzigen Sportfahrzeugen wie dem Fiat 2300 S oder dem Alfa Romeo 2600 Sprint, die beide in die gleiche Preisklasse gehören. In Preis und Leistung knüpft er an den Carrera 2 an, den er ablösen wird, und liegt klar über den Vierzylindermodellen. Aber man
erwartet von ihm höhere Stückzahlen als vom Carrera und rechnet damit, daß viele Porsche-Käufer den Mehrpreis nicht scheuen werden, um in den Besitz dieses reizvollen Autos zu kommen. Vermutlich ist diese Rechnung richtig.

Reinhard Seiffert
Auto-Motor-Sport 1964 Heft 8


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